Die Hoffnung stirbt nie – oder zumindest sollte man sie nie verlieren.
Wir bekommen bei unserer Arbeit äußerst selten vor Augen geführt, wie wahr dieses „Sprichwort“ doch sein kann. Am Ende der vergangenen Woche war es aber wieder einmal so weit.
Vor gut 21 Tagen saß ein rot-weißer Kater eines morgens in unserem Fundtierhaus. Man hatte ihn kurz vor Mitternacht wartend an einer Bushaltestelle in Gießen sitzend gefunden. Es war nicht das erste Mal, dass er an dieser Haltestelle zu warten schien. Eine Bissverletzung an seinem Rücken schien nicht behandelt worden zu sein, ob er ein Zuhause hatte war also fraglich.
Im Tierheim kümmerten wir uns um die Wunden und stellten dabei fest, dass das Katerchen in beiden Ohren noch gut lesbar tätowiert war. Anhand der Art der Kennzeichnung kam auch sofort die Erkenntnis, dass der Kerl schon einmal Gast im Tierheim war, von uns vermittelt worden war. Er war bei Tasso registriert auf den Namen „Peter Pan“ und dort bereits seit 2014 als vermisst gemeldet. Die Mitarbeiter und wir waren uns recht sicher: so lange war er nicht unterwegs, es wurde nur vergessen, die Vermisstenmeldung nach seinem Heimkommen herausnehmen zu lassen. Sein Zuhause sollte in Wieseck sein. Am selben Tag wurden alte Akten gesichtet und die ersten Versuche der Kontaktaufnahme mit dem Frauchen begannen.
Peter Pan war Ende 2007 als Jungtier im Tierheim gewesen und Anfang 2008 in sein quasi erstes Zuhause gezogen. Dass die Nummer auf dem Vermittlungsvertrag nicht mehr stimmte, wunderte uns nach dieser langen Zeit nicht. Sowohl die Mitarbeiter von Tasso als auch wir bemühten uns um die Erreichbarkeit von Peter Pans Zweibeinern. Eine Anfrage beim Einwohnermeldeamt bestätigte, dass von den alten Daten nichts mehr aktuell sein konnte. Also hieß es warten…
Beim Warten darauf, dass sich Menschen melden würden, die den sehr zutraulichen und einfach nur liebenswerten Kater vermissen, kommt man ins Grübeln. Warum nur meldet sich niemand? Wird er nicht vermisst?
Als Tierschützer lernt man schnell, nicht zu leicht aufzugeben und manchmal selbst die unmöglichsten Wege zu gehen. Also erneuter Kontakt mit Tasso. Gibt es andere Tiere, die auf die Halterin registriert wurden? Nein, leider nicht. Gibt es andere Personen unter der genannten Adresse? Nein, leider auch nicht. Der Nachname scheint kein geläufiger zu sein. Gibt es andere Personen mit demselben Nachnamen? Ja – und sogar jemanden in Gießen! Aber auch hier hieß es bald, die Kontaktdaten schienen veraltet zu sein.
In den heutigen Zeiten nutzen wir, wie viele andere auch, dann gerne die sozialen Medien. Eine einfache Suche nach den beiden Damen aus Gießen mit dem gleichen Nachnamen brachte folgende Erkenntnis: Die gemeldete Halterin war nicht bei Facebook, aber die andere Dame scheinbar schon. Sie war Mitglied in der ein oder anderen Gießener „Verkaufsgruppe“ und hatte dort Ende des Jahres 2016 nach einer Mitfahrgelegenheit nach Brandenburg gesucht. Dieselbe Dame hatte Mitte 2017 Umzugskartons in einer Verkaufsgruppe für einen Ort in Sachsen angeboten.
Alles schien zu passen. Der Umzug würde die veralteten Daten erklären. Wer nun mit den „Gepflogenheiten“ von Nachrichten bei Facebook vertraut ist, weiß, dass Nachrichten von nicht „befreundeten“ Personen gerne einmal in einem Nachrichtenanfragen-Postfach landen und dort lange ungelesen bleiben. Wir schrieben der Dame, doch fünf Tage lang kam keine Antwort. Facebook soll Menschen miteinander vernetzen – und im Falle von Peter Pan hat das geklappt. Die Bekannte einer ehrenamtlichen Mitarbeiterin hatte wiederum eine Bekannte, die mit der gesuchten Dame auf Facebook verbunden war. Diese Nachricht kam an!
Im Tierheim meldete sich eine völlig verblüffte Besitzerin von Peter Pan, der schon lange den Namen Romeo trug. Er wurde 2008 an ihre Tochter vermittelt. Diese zog um, bekam eine neue Arbeit und so wurde Romeo der Kater ihrer Mutter. Dort hatte er ein glückliches Leben. Jeden Abend, wenn sein Frauchen von der Arbeit kam, wartete er an der Bushaltestelle in Wieseck, die dem Wohnhaus am nächsten war, um sein Frauchen auf den letzten Metern bis ins Haus zu begleiten. Eines Abends im Oktober 2014 war Romeo nicht da um zu warten… Sein Frauchen weinte am Telefon, wollte nicht glauben, dass es tatsächlich IHR Romeo sein könnte. Doch er war es!
So unglaublich es klingen mag – Romeo tauchte bis zum Januar 2018 nicht wieder auf. Doch da, eines Abends, einen Stadtteil weiter, wieder an einer Bushaltestelle, da war er. Was ihm in all den Jahren wiederfahren ist, kann er uns leider nicht erzählen. Wie viele Bushaltestellen er Nacht für Nacht nach seinem Frauchen absuchte, werden wir nie erfahren.
Doch eines wissen wir mit Sicherheit. Das sind die Geschichten, die uns beweisen, dass man die Hoffnung nie aufgeben darf! Sein Frauchen nahm so bald als möglich Urlaub, reiste fünf Stunden an, um ihren Romeo wieder in die Arme schließen zu können. Sie hatte die Hoffnung auf ein Wiedersehen tatsächlich schon aufgegeben. Nach all der Zeit auch irgendwie verständlich. Eine neue Katze durfte ihre Dienste als Dosenöffnerin genießen. Doch dass Romeo wieder mit ihr fahren würde, stand außer Frage. Alle hatten ein paar Tränen in den Augen, denn der treue Kater schien sein Frauchen nach all der Zeit zu erkennen und maunzte was das Zeug hielt. Als hätte er alles Erlebte in 10 Minuten erzählen wollen!
Jetzt lebt Romeo weit weg von Gießen. Er wird viele Wochen auf Freigang verzichten müssen, aber er hat sein Frauchen zurück und eine neue vierbeinige Freundin gewonnen. Und Tasso hat nun eine fast vierjährig bestandene Vermisstenmeldung weniger in der langen Liste der Tiere auf Abwegen 🙂